In meiner Ausbildung an der FHNW wurde ich an die agile Softwareentwicklung herangeführt. In zig Projekten haben wir Planning Poker gespielt, Burn-Down-Charts interpretiert und in Sprint Retrospectives auf unsere (Miss-) Erfolge zurückgeblickt. Auch das Agile Manifesto und weitere Theorien zur agilen Arbeitsweise wurden in Modulen wie "Softwareentwicklungs Prozesse" thematisiert. Im Arbeitsleben entwickelte ich bereits ebenfalls agil Software in verschienen Projekten. Kann ich von mir also behaupten ich könne Scrum? Diese Frage wollte ich durch einen unabhängigen Test beantworten lassen und entschloss mich, mich zertifizieren zu lassen!
Wo, wann und wie?
Also machte ich das, was man in solchen Situationen immer macht und googelte los. Das Spektrum der angebotenen Tests und Zertifizierungen reicht von scammy bis zu hochseriös. Da die Auswahl an potentiellen Anbietern so gross war, stellte ich mir selber einige Regeln auf:
- Der Anbieter muss eine gewisse Legitimität aufweisen, also gute Referenzen in Fachblogs oder ähnlichem haben.
- Kein Präsenzkurs nötig. Ich habe an der FHNW so viel Präsenzlektionen absolviert, ich war der Ansicht, dass es auch ohne Kurs machbar sein muss. (Ausserdem schlagen diese Kurse auch mit mehreren Tausend Franken zu buche)
- Budget max. 500.- CHF.
Nach intensiver Recherche bin ich auf Scrum.org gestossen. Die Seite behauptet selber das "Home of Scrum" zu sein - schonmal nicht schlecht. Ausserdem ist sie sehr gut Bewertet auf Testportalen und scheint allgemein anerkannt zu sein. Es werden weltweit Kurse für die Zertifizierungsprüfung angeboten, es ist aber nicht Pflicht einen zu Besuchen im die Prüfung zu absolvieren. Das Zertifizierungsportfolio ist breit, aber trotzdem findet man sich schnell zurecht, welche interessant für einen selber sein könnten. Alle Tests können Orts und Zeitunabhängig online durchgeführt werden.
Probeprüfung = Realitätscheck
Ich entschied mich für die PSPO I Zertifizierung (Professional Scrum Product Owner I). Dies vor allem weil ich in meinem bisherigen Berufsleben meistens diese oder zumindest ähnliche Rollen inne hatte. Kostenpunkt: 200$.
Nachdem feststand welche Zertifizierung ich machen will, scrollte ich durch die vom Anbieter bereitgestellten Informationen und erblickte den Test "Product Owner Open". Das ist eine Probeprüfung mit 15 Fragen aus einem grossen Fragepool, die man verwenden kann um sich selber eine Standortbestimmung geben zu können. Also nicht wie los: Beim ersten Versuch erreichte ich prompt 75% richtige Antworten. Einige Fragen waren sehr tricky und vermutlich halt auch darauf ausgelegt, dass man die aktuellste Version des Scrum Guides verinnerlicht hat. Also probierte ich es erneut und erneut, kam aber nie ganz auf die geforderten 85% (die Fragen ändern sich jedes Mal etwas und es gibt halt keine Lösung).
Zurück auf die (agile) Schulbank
Ich realisierte, dass ich - wortwörtlich - nochmal "über die Bücher" muss. Glücklicherweise bietet Scrum.org eine breite Sammlung an Ressourcen und eine Zusammenstellung was man für welche Zertifizierung alles gelesen, gehört und geschaut haben muss um bestehen zu können.
Dem Leitfaden folgend wurde ich nochmals in die Grundlagen der Scrum Theorie inklusive aller Rollen und Zuständigkeiten eingeführt. Ich würde sagen 3/4 des Kurses waren eher allgemeiner Natur, als spezifisch für die Rolle des PO's. Aber ich kämpfte mich an einem Wochenende durch das Material - zugegeben manchmal eher oberflächlich, wenn ich das Gefühl hatte etwas bereits aus meiner Ausbildung zu kennen. Aber ich ackerte mich durch.
Stunde der Wahrheit
Nach dem agilsten Wochenende meines bisherigen Lebens fühlte ich mich bereit. Konto auf Scrum.org erstellt, den Zugangscode zum Test für 200$ gekauft und dann ging es los. Zwischen mir und dem Zertifikat standen 80 Fragen, die es in 60 Minuten zu beantworten galt. Bestanden hat wer >85% der Fragen richtig beantwortet.
Die Fragen waren wild durcheinander gewürfelt und folgten keinem System, weder Schwierigkeit noch nach Thema. Ich klickte mich durch die Multiple Choice Aufgaben so schnell ich konnte. Mit 37 Sekunden übrig auf der Uhr schloss ich den Test ab und sah zuerst einmal nichts. Nach dem Klick auf "Show Result" wurde ich weitergeleitet und sah mein Zertifikat zum Download bereit - Juhu!
2 für 1?
Nachdem ich mich über die bestandene Prüfung gefreut hatte, stöberte ich weiter auf Srum.org herum. Ich sah die Zertifizierung PSM I (Professional Scrum Master I) und dachte an die gerade eben absolvierte Prüfung zurück. Es waren viele allgemeine Fragen zu Scrum, den Rollen und den Konzepten im Test. Jetzt bin ich so Fit in der Theorie von Scrum wie schon länger nicht mehr. Soll ich es wagen auch diese Zertifizierung zu absolvieren? 30 Minuten später fand ich mich, 150$ ärmer - aus irgend einem Grund ist diese Zertifizierung 50$ günstiger - aber um einen Prüfungscode für die PSM I Prüfung reicher, wieder.
Also nochmals Fokus und in 60 Minuten 80 Fragen zu mindestens 85% richtig beantworten. Hier hatte ich noch 3:49 Minuten auf der Uhr übrig, als ich auf den Button um die Prüfung abzuschliessen gedrückte habe. Und auch hier hat es gereicht - Yeah!
Fazit
Die Frage: "Kann ich Scrum?", kann ich nun teilweise beantworten. In der Theorie habe ich die Anforderungen and die Zertifikate erfüllt und kann meine Diplomsammlung zurecht mit ihnen Schmücken. Aber in meinen intensiven Scrum Studium wurde mir wieder bewusst, dass Scrum vor allem auch Mindset ist: Man liefert etwas ab ausnahmslos in jedem Sprint, man geht offen und transparent mit einander um, man löst Probleme im Team, findet Lösungen im Team, man commited sich zu Aufgaben und zieht sie durch. Das ist was Scrum ausmacht und warum Scrum nicht nur angewendet, sondern auch gelebt werden muss.